16. Bericht: Die Atlantiküberquerung

Dienstag 10. Januar 2012  Position: Brava, Cabo Verde

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Brava war sehr schön, wir blieben drei Tage und genossen es. Faja de Agua, der kleine Ort in unserer Ankerbucht, war sehr beschaulich. Frische Langusten wurden uns direkt am Ankerplatz angeboten – sie schmeckten köstlich!

 

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Zum zweiten Mal starten wir zur Atlantiküberquerung. Endlich mal ganz in Ruhe alles fertig machen und dann, nach dem Frühstück und zack 🙂 um 15 Uhr gehen wir Anker auf. Bei NE 5 Bft geht’s zügig los, dabei ist die Welle mit 1-2 m sehr moderat. Gegen Abend flaut der Wind etwas ab und es gibt nen Pastis als Sundowner und dann leckere, vorgekochte Kartoffelsuppe. Die Suppe verdanke ich der Tatsache, dass wir schon zu oft für die bevorstehende Atlantiküberquerung eingekauft hatten und jetzt in Brava, bei der wirklich letzten Einkaufsmöglichkeit, die bereits verbrauchten Frischwaren nicht mehr alle aufgefüllt haben.

 Ungläubig starren wir in das Gemüsefach und dann uns an: „Du willst doch nicht sagen, dass wir mit 5 kleinen, schrumpeligen Möhren über den Atlantik segeln??? Und das, wo wir gerade die optimale Lagerung von Möhren (z.B. in Sand gebettet) wochenlang getestet hatten. Möhren-Kürbissuppe mit Ingwer sollte es eigentlich geben, nun … ich liebe ja Kartoffelsuppe. Unsere erste Nacht auf See ist wunderschön, ruhige See bei 3 Bft und silbernem Mondschein schenkt uns dann die Hoffnung auf eine angenehme Reise.

 

Mittwoch 11. Januar (1. Seetag) / Position 13°43’N 25°36W (12 h UTC)

Um 8 Uhr morgens begegnet uns Platon, ein Containerfrachter auf dem Weg gen Europa. Der Wind hat weiter nachgelassen und wir setzen den Spi (Spinnaker, bauchiges Segel für leichten Wind) reißen dabei einen 30 cm langen Winkel ins Tuch und holen ihn schnell wieder runter. Wir sehen ihn durch und reparieren mit dem Tape gleich noch einige kritische Nahtstellen.

 

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Um 17 Uhr steht er dann endlich und ich springe gleich auf den Spibaum um die Perspektive von dort oben zu genießen.

Trotz unseres nun um 5 Tage verzögerten Aufbruchs, bleiben wir Teil der Kurzwellenfunkrunde Brasil-Net. Die anderen Yachten: Santana (NL), Betty Boop (NL), Sandpiper (GB), Ganesh (F) und die Argo (NL), mit der wir schon gemeinsam von La Gomera nach Sal unterwegs waren. Sie sind auch auf dem Weg nach Brasilien, uns jetzt allerdings schon 600 sm voraus.

Wir können Kurzwelle (KW) nur empfangen, nicht senden. Die SY Santana fungiert daher als Relaisstation. Wir senden ihr unsere Positionsmeldung per Sat-Telefon als sms und Trees oder Jon lesen sie dann über SSB (KW-Funk) vor. Von der SY Argo hören wir ab und zu den neuesten Wetterbericht, allein für unsere Position, sie sind als einzige auf dem Weg nach Surinam. Ich staune wie gut unser kleiner LOWE 150 SSB Empfänger funktioniert. Über die Achterstag-Antenne können wir die andern Schiffe über Distanzen von 600-1000 sm (fast 2000 km) gut empfangen. Es fühlt sich gut an, über diese ozeanische Funkrunde mit Menschen in ähnlicher Situation verbunden zu sein.

 

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Ein richtiges Wettercoaching macht mein Freund und Segler Martin. Alle 3 Tage rufen wir ihn über unser Satellitentelefon (I-satphone, inmarsat) an und bekommen die neueste Wetterberatung direkt aus dem Internet mit Kursempfehlungen: immer weiter nach Westen gehen, da sich ein Hoch mit Flaute von der afrikanischen Küste über den Atlantik schiebt. (Ein direktes downloaden der Gripfiles erwies sich als langwierig und damit sehr teuer).

Zudem sprechen wir gelegentlich mit Arianes Schwester Yara, die home management & service für uns macht und mit ihren Eltern.

Noch nicht genug der Kommunikation, gleich zwei französische Segelyachten starten am selben Tag von Brava in Richtung Brasilien. Die SY Horizons, ein 45 ft Katamaran entschwindet schnell außer Reichweite und Leon, ein Fotograf, alleine mit seiner SY La Matine unterwegs, folgt uns eine Stunde später. Da wir anfangs mit dem Spi schneller sind als er, entsteht ein Abstand von 100 sm, der relativ konstant bleibt, so ist er einen Tag hinter uns. Täglich tauschen wir die Mittagsposition und kleine Anekdoten unseres täglichen Bordlebens per sms (Sat-tel.) aus. Und dann meldet sich auch noch die SY Rufus II, Marion und Harald sind auf dem Weg in die Karibik. Wir fühlen uns total vernetzt, anstatt allein auf dem weiten Atlantik. Tja, so ist das heute…    

 

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Donnerstag 12. Januar (2. Seetag) / Position 12°20’N 25°49’W

Heute begegnet uns Socrates, scheinbar sind ne Menge griechische Philosophen auf dem Atlantik unterwegs, ich rufe über UKW-Funk an, aber die Besatzung ist russisch und das ‚philosophieren’ (in Englisch) fällt sehr kurz aus.

‚Lord Nelson’ hat seinen Dienst eingestellt (das ist unser elektrischer Autopilot) er hatte im Sturm vor Brava Salzwasser gezogen und war von Innen nass geworden, was die Elektronik gar nicht mag. Alle ‚Wiederbelebungsversuche’ scheitern. Wenn kein Wind ist, müssen wir nun von Hand steuern, so lange wir Wind haben, macht ‚Alma’, die Windpilot Pazifik (mechanische Windsteueranlage),das ganz prima.

 

Freitag 13. Januar (3. Seetag) / Position 10°54’N 26°15’W

Freitag der Dreizehnte schlägt zu und unser Haupt-GPS  gibt auf. Leider hängt unser AIS-Radar mit dem Warnalarm mit dran (Signalton, wenn andere Schiffe in die Nähe kommen) und so müssen wir nun selber Ausschau halten nach ’griechischen Philosophen’ und anderen Schiffen.

Zur Navigation nutzen wir ein Netbook mit GPS-mouse und dem Programm Open CPN, natürlich kommt aber trotzdem jeden Tag ein Kreuzchen (Position) in die papierne Seekarte. Ich erinnere mich noch gut an das Gefühl als ich diese Seekarte (Übersegler) vom mittleren Atlantik  in Hamburg kaufte; ein bisschen stolz, ein bisschen  wagemutig, aber auch vorsichtig (nur nicht überheblich werden). Afrika und Brasilien und dazwischen viel Atlantik sind da drauf –  und jetzt sind wir unterwegs und Kreuzchen für Kreuzchen zieht sich unser Kurs über die weite weiße Fläche der Seekarte. 

 

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Ansonsten wird dieser 13.te ein wunderbarer Segeltag: Die ganze Nacht und den ganzen Tag steht der Spi. Erst als der Wind abends gegen 21 Uhr auf gut 4 Bft auffrischt, muss er runter – zu schnell. Der Spi fällt ins Wasser – wir fahren drüber – er fängt unterm Schiff Wasser wie ein Sack – zieht wie Harry bei 3-4 kn – hoffentlich kommt er nicht in die Schraube – schnell nach achtern und Leerlauf rein – dann werden wir auch langsamer und der Druck lässt nach – Stück für Stück ziehen wir ihn an Deck – uff, geschafft! Fazit: Ein paar Antifoulingflecken auf dem gelben Tuch, sonst ist´s heil geblieben. Allerdings das Tuch so viel Zug bekommen, dass eine Relingsstütze gebrochen und eine verbogen ist (daran war er  hängengeblieben). „ Na ja, dann habe ich ja wieder was zu tun…“

Zur Besänftigung kommt kurz darauf eine große Schule Delfine und begleitet uns 2 Std. lang durch die Nacht – alles wird gut!

 

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Samstag 14. Januar (4. Seetag) / Position 9°28’N 27°08’W

Alles wird gut – das GPS/AIS arbeitet wieder, entspannte Backstagsbrise (raumer Wind) 4 Bft und nur leichter Seegang. Wir haben uns jetzt nach 3 Tagen an den Wach- und Schlafrhythmus auf See gewöhnt. Wir leben den halben Tag im 3-Stunden Takt, von 21 bis  9 Uhr Utc. Wir haben im Salon eine Seekoje mit Leesegel eingerichtet. Gekocht wird am Spätnachmittag, sodass wir noch bei Tageslicht (ca.19.30 Uhr) essen können. Nachmittags gönnen wir uns eine Vordecks-Salzwasser-Dusche, mittels Eimer schöpfen wir Wasser aus dem Atlantik und schütten es uns über´n Kopf, Wiederholung so oft wie gewünscht.

 

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Sonntag 15. Januar (5. Seetag) / Position 8°09’N 28°00’W

‚Am Sonntag will mein Süßer mit mir segeln gehen, sofern die Winde wehn…´ und das tun sie. Leicht und gemütlich ziehen wir mit 4 kn gen Süden und schlecken nachmittags selbstgemachte Himbeersahnetorte zum Kaffee.

 

Montag 16. Januar (6. Seetag) / Position 06°31’N 28°18’W

Langsam wird´s heiß, vor allem unter Deck geht das Thermometer Mittags gen 30°. Ariane backt Brot im Dampfdrucktopf, leider geht der Hefeteig nur wenig, so dass wir den Plan ändern und 2 Brötchen und 4 Pfannkuchen (schon wieder lecker) draus werden.

 

Dienstag 17. Januar (7. Seetag) / Position 5°40’N 28°30’W

Wir gleiten durch die Nacht, fast lautlos, gezogen vom großen ‚schwarzen’ Spi. Es ist ein bisschen wie schweben, fast unwirklich, surreal, aber schööön, zum Genießen. Ein Moment der Realität in unserer eigenen kleinen Welt auf dem großen Ozean wie eine ‚Zeitkapsel’, losgelöst vom ‚Rest der Welt’.

Wir leben an Bord nach UTC (Greenwich-Zeit = MEZ-1 Std, das machen die meisten Yachten, denn es vereinfacht die Navigation, das Wache gehen und das frühe Aufstehen. Ortszeit wäre schon MEZ -2 Std und in Brasilien MEZ -3 Std und wo ist die Zeitzone zu Ende, hier auf dem Meer? Also wir bleiben lieber in unserer ‚UTC-Kapsel’.

Übrigens – ohne Wellen ist der Ozean besonders groß und weit und wir gehen (nacheinander!) in der Mittagsflaute (nach dem Segel bergen) schwimmen im endlos blauen Meer, ein 4000 m tiefes ultramarin Blau.

 

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Mittwoch 18. Januar (8. Seetag) / Position 4°27’N 28°30’W

Regen! Die ersten Schauerböen (mehr Regen als Wind) treffen wir auf 4°30’N an. Wir haben die Kalmen erreicht. N-Wind, SE-Wind, kein Wind, NE-Wind, unser Etmal (zurückgelegte Strecke in 24 Std) schrumpft auf 58 sm.

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Donnerstag 19. Januar (9. Seetag) / Position 3°10’N 28°28’W

Mehr Regen – Ariane kommt nachts um 03.00 Uhr nass bis auf die Haut von ihrer Wache aus dem Cockpit. Undichte Stellen am Mastfuß tropfen in WC und ‚Flur’, die Kompassbeleuchtung fällt aus. Dieses ‚heimelige’ rote Licht und der schnelle Blick auf den  Kurs fehlen uns plötzlich sehr. GPS/AIS fällt wieder aus, Flurlicht hat Wackelkontakt (die Lampe ist voll Wasser gelaufen) – alles feucht. Linsensuppe mit der letzten Möhre (ja, wir waren echt sparsam) und der letzten frischen Petersilie tröstet uns von Innen.

Nachmittags ein Knall, die Diagonalverstrebung vom Windgeneratormast ist runtergefallen.    Eine Schraube hatte sich im Seegang gelöst und war weg. So etwas muss natürlich sofort repariert werden!

 

Freitag 20. Januar (10. Seetag) / Position 1°46’N 28°45’W

Kleiner Schauer, großer Schauer, Gewitter, Delfine (immer wieder eine große Freude).

 

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Das Bordleben wird langsam anstrengend, Feuchtigkeit breitet sich aus, alles wird klamm und ungemütlich. Essen kochen, spülen, navigieren, lesen, reparieren und zwischendurch der Versuch einige Sachen zu trocknen – der Tag geht schneller rum als man denkt!

 

Samstag 21. Januar (11. Seetag) / Position 0°24’N 29°15’

Heute schaffen wir es bis zum Äquator! Eine sehr unangenehme Kreuzsee aus NE und aus SE (von den beiden Passatwinden) läuft gegeneinander. In Verbindung mit wenig bis keinem Wind und dadurch schlapp, schlagenden Segeln wird der Tag sehr anstrengend. Heftige, abrupte und völlig unvorhersehbare Bewegungen des Schiffs werfen uns durchs Schiff.

‚Alma’ (Windpilot) hat Steuerprobleme, weil gar kein Wind mehr ist, und selbst unter Motor kommen wir irgendwie kaum voran. Keine 3 kn bei 1800 U/min (normal wären 4,5 kn).

Ich befürchte Seetang in der Schraube und tauche noch kurz vorm Dunkelwerden unters Schiff, um nachzusehen. Aber es ist alles o.k., muss wohl dieser komische Seegang sein.

Den ganzen Tag versuchen wir ‚per Anhalter’ mit den Schauerböen zu fahren, denn dort ist wenigstens etwas Wind. Anfangs gingen wir ihnen eher aus dem Weg.

 

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Um 20.50 Uhr UTC überqueren wir dann den Äquator auf der Länge 29°22,5’W. Ariane hat ein leckeres Äquatorbrot mit Nüssen und Rosinen im Dampfdrucktopf gebacken (wir haben leider keinen Backofen) und zur Feier des Tages gibt es ein Glas Sekt, auch für Neptun und sein Gefolge. Dieser scheint das aber für eine Einladung zu halten und steigt mit seinem Dreizack von achtern an Deck zwecks Äquatortaufe. Mit breitem Grinsen reißt er uns die Gläser aus der Hand und verfüttert unser Äquatorbrot an sein Gefolge, wir müssen statt dessen rohe Muscheln und Haifischflossen essen. Prustend und nach Luft ringend versuchen wir uns zu wehren, aber gegen die Äquatortaufe hat man keine Chance. Patschnass und voller stinkendem Seetang stehen wir im Cockpit, nachdem der ganze Zauber vorbei ist und begreifen: Nun erst haben wir den Äquator wirklich überquert…

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Zur Belohnung kommt 10 Minuten später ein leichter aber stetiger SE-Passat (Wind) auf.

 

Sonntag 22. Januar (12. Seetag) / Position 0°54’S 29°53’W

Nach manueller Eingabe einer neuen Startposition arbeitet unser GPS/AIS wieder.

Ein wunderbarer Sternenhimmel spannt sich nach Auflösung des letzten Schauers über uns auf. Voraus steht das Kreuz des Südens und achteraus der große Wagen und der Nordstern noch eben über der Kimm; wie passend!

Ariane bekommt Besuch während ihrer Wache, ein großer Seevogel landet auf dem Schwimmer der Markierungsboje auf dem Achterdeck. Langer Schnabel, weißes Häubchen, was für einer mag das sein? Nach einer halben Stunde Pause fliegt er weiter.

 

Montag 23. Januar (13. Seetag) / Position 2°36’S 30°58’W

Passatsegeln im Südatlantik, SSE 4-5 Bft, später 3-4 Bft, halber Wind und Sonne, wunderbar. Es ist richtig warm geworden, jedes Stück Stoff ist schon zu viel. Bei diesem Wetter genießen wir es auf See zu sein. Auf See ist die Chiloë wirklich eine einsame Insel und das Leben (ohne Starkwind) paradiesisch. 

 

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Dienstag 24. Januar (14. Seetag) / Position Fernando de Noronha 03°48’S 32°25W

Es ist nicht mehr weit. Erwartungsvoll blicken wir dem ersten Landfall in Brasilien entgegen. Wir sind zu schnell – so würden wir noch im Dunkeln an der felsigen Küste ankommen. 2 Reffs im Groß und 1 Reff in der Genua nützen fast nichts. Bei 5 Bft läuft Chiloë immer noch 5 kn, also die Genua ins 3. Reff auf Sturmfockgröße eingerollt, jau nun rollen wir mit 3,5 kn dem Ziel Fernando de Noronha entgegen.

Mit der Dämmerung tauchen die bizarren Konturen der felsigen Inselgruppe auf – LAND IN SICHT!  Da ist BRASILIEN; wir haben den Atlantik überquert!

 

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Zum Schluss noch etwas Statistik für Interessierte:

Dauer                          13 Tage 18 Std.

Distanz                        1224 sm

Bestes Etmal (24 Std)   124 sm

Geringstes Etmal           58 sm

Motor                           49 Std

Spinnaker                    58 Std